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Neue Stimme im Kanon der Reliefkunst
Miroslav Wiedermanns Entdeckung des Materials Filz und die Folgen
Maler? Bildhauer? Miroslav Wiedermann schüttelt den Kopf, beginnt bitter zu lachen. „Allein der Gedanke, mich einordnen zu wollen, ist mir unendlich fremd.“ Stattdessen ordnet der Künstler, der die althergebrachten Berufssparten ablehnt, die Fotos seiner Arbeiten nach „Objekt“ und „Installation“. Trotzdem trägt seine jüngste Werkserie unübersehbar sowohl bildhauerische wie malerische Züge. Da sind kantig-prägnante, klar begrenzte, untereinander geschwisterlich ähnliche Volumina, als Individuum ausgesprochen winzig, dafür jedoch stets gleich im Kollektiv daherkommend. Und da sind Farben, mal streng monochrom, mal sacht tonig abgestuft, mal im harten Komplementärkontrast, Farben, aufgemalt den besagten Formen ebenso wie der formtragenden Fläche. Wenn von formtragenden Flächen die Rede ist, kann der Begriff „Relief“ nicht weitab liegen. Zu dem die Lexikon-Definition lautet: „Ein Werk der Bildhauerkunst, dessen Figuren nicht frei im Raum wie bei der Plastik stehen, sondern an eine Fläche – an einen Hintergrund – gebunden sind.“ Nehmen wir also einmal an, es handle sich bei Wiedermanns jüngster Serie um Reliefs. Dann hätten wir, um die Vorgaben der Definition einzulösen, genauer zu bestimmen, wie in seinem Falle die „bildhauerischen“ Eingriffe aussehen und was die daraus hervorgehenden „Figuren“ sind.


  Man muss etwas Neues machen, um etwas Neues zu
  sehen.   Georg Christoph Lichtenberg

Bei Miroslav Wiedermann beginnt das neue Machen, welches dem neuen Sehen vorangeht, mit einem neuen Material. Als sein Blick vor rund fünfzehn Jahren in München ins Schaufenster eines Spezialgeschäfts für Filz fällt, ist er auf der Stelle fasziniert von den Eigenschaften der textilen, aus einer Mischung von Pflanzenfasern und Tierhaaren durch Feuchtigkeit plus Wärme, Druck, Durchwalken zu großer Dichte gepressten Masse, insbesondere vom Zusammenklang aus Weichheit und Stabilität, aus Regelmäßigem und Unregelmäßigem. Und von vornherein ahnt er das in den Filzbahnen schlummernde gestalterische Potential. Nicht, dass er damit in der zeitgenössischen Kunst der erste wäre. Unter den Material-Fetischismen, die ein Joseph Beuys pflegte, rangierte hoch die Liebe zum Filz. Als Auflagenobjekt gab er bekanntlich einen braunen Filzanzug zum Schneider. Als Antwort auf herkömmliche Reliefs verstand sich bereits das Minimal-Art-Wandobjekt, für das Robert Morris 1970 roten Filz zu großen, symmetrisch herabhängenden Streifen zertrennte. Weitere Beispiele ließen sich aufzählen.
Ganz anders, und völlig unabhängig von solchen Vorläufern, Miroslav Wiedermann. Durch das Arbeiten mit Spachtelmasse in der Malerei auf den Geschmack an haptischen Strukturen gekommen, befiehlt er seinen Schneideinstrumenten Feinarbeit. Ans extrem gelängte menschliche Profil angelehnt, somit noch figürlich sind die ersten dunklen Filzstücke, die er, meist dreifach hintereinander gestaffelt, auf Nesselträger klebt. Seither ist seine Methode konsequenter und zugleich nochmals differenzierter geworden. Die Holzplatte empfiehlt sich als Träger für kubisch aus dem Filz sezierte, immer kleiner, dafür in immer massiverer Häufung irregulär übereinander gestreute Elemente – wie Gebäudetrümmer, die ein Erdbeben hinterlassen hat, das Ganze bloß ins Modellformat versetzt („Maulwurf“). Die Beschränkung der Filzfarbe auf Weiß verbürgt möglichst wenig Ablenkung vom reichen Licht-Schatten-Spiel. Bemerkenswert, welch komplexe Anordnungen, aber auch welche Assoziationswelten sich aus dem profanen Material zaubern lassen! Die Wahrnehmung des Betrachters durchläuft dabei ein ständiges Umspringen der Größenmaßstäbe: schon wähnt man sich wieder vor bunten Puzzleteilen, zusammengeschoben auf blauer Tafel („Insel“).
Als Sternstunde darf der Moment bezeichnet werden, wo Miroslav Wiedemann erkennt, dass es ab und zu auch ohne die Hilfe einer textilen oder hölzernen Rückwand geht. Abermals Architektonisches, geradezu Stadtplanerisches beschwören die schmalen Querriegel herauf, die er in dichter Horizontalfolge aus dem Filz holt, um sie leicht nach vorne zu kippen, so dass auf die Oberkante Licht fällt, während andere Partien in Schatten getaucht werden („Ahnentafel“). Diesmal entwickelt sich die Plastizität überschaubarer, „logischer“ als auf den kleinteilig-wimmeligen Gegenstücken. Zwar hat der Künstler hier, da der Kontakt der Elemente mit ihrer Filzbahn nicht vollständig gekappt ist, auf Klebstoff verzichten können; umso schärfer jedoch müssen die Messer, umso ruhiger die Hand sein, womit er seine diffizilen Operationen ausführt.


  Die Kunst ist eine zusammengepresste Natur und
  die Natur eine auseinandergelaufene Kunst.
        Friedrich Hebbel

Mit beharrlichem Ehrgeiz ist Miroslav Wiedermann dabei, das Spektrum von Eingriffs- und Wirkungsmöglichkeiten zu erweitern. Zwischen Großformatigem, wo er ein Maximum an Figuren und Farben aufbietet und wo geschnittene Elemente im dichtgepackten Verbund mit geklebten auftauchen, entstehen immer wieder kleinere, puristischere Arbeiten (etwa „Sog“). An ihnen lässt sich gut die handwerkliche Raffinesse studieren, mit der schräge Kantenführung, partielle Herauslösung, Hinterschneidung, Überlappung, Knautschung, Verkantung und Verformung dazu beitragen, dass aus einem flächigen ein räumliches Gebilde wird - tatsächlich ein Relief in seiner spezifischen Mittlerstellung zwischen Malerei und Skulptur. Was da dem Betrachter an eckigen Gebilden, von denen keines dem Nachbarn gleicht, entgegenwächst, entgegenbrodelt, entgegentanzt, bleibt auch in anderen Hinsichten nicht statisch: es verändert sich je nach Richtung des Lichteinfalls, je nach Blickwinkel des Betrachters. „Auf dem Weg wird’s jetzt ganz rabiat weitergehen“, verrät Wiedermann finster entschlossen und zeigt auf die dreiteilige Arbeit „Strudel“. Dadurch, daß die rückseitig tragende Apparatur auf ein Mindestmaß geschrumpft, somit unsichtbar geworden ist, bilden die an Zähne und Zahnräder, Stufen und Treppen - und immer wieder mal an ein langnäsiges Gesicht - erinnernden Partikel selber den Rand, unregelmäßig gezackt, graphisch markant in die Luft ringsum sichelnd und stochernd. Was unterstützt wird dadurch, dass sich jede der drei Stationen aus einer Zentralmulde heraus nach außen und nach vorne entwickelt, als wolle sie ihr menschliches Gegenüber umfangen, aufsaugen wie ein Mahlstrom. Der erste Schritt zum raumbesetzenden Environment aus Filzschnitt scheint getan.
Mit der Einsiedler-Mentalität eines monoman im Labor forschenden Physikers ist Miroslav Wiedermann eingetreten in den Dialog mit seinem Vorzugswerkstoff, zwecks sukzessiver gegenseitiger Geheimnisoffenbarung. Er hat dem Filz abgelauscht, was es heißt, elastisch zu sein und doch widerständig, handwarm-sinnlich und doch sachlich-neutral. Wie man außen – bei langer Trockenzeit - Buntfarbe aufnimmt und innen doch weiß bleibt wie Zuckerschaum. Und der Filz ist darüber zum willigen Vermittler künstlerischer Aussagen geworden, die wahlweise abstrakt-formal wahrnehmbar sind oder als bildhaftes Gleichnis all des Seriellen, Vermassten, vermeintlich Chaotischen unserer modernen urbanen Lebensverhältnisse. (Dass Gesellschaftskritik ihm nicht fremd ist, hat dieser Künstler u.a. mit den Prägedrucken und Objekten seines „Bos Taurus“-Projekts unter Beweis gestellt.) Vor allem aber fügt Miroslav Wiedermanns Umwidmung der Raumausstattungs-Rollware Filz dem im vergangenen Jahrhundert bereits immens ins Profanmaterial hinein erweiterten Kanon dessen, was Relief sein kann – von Arps Holzreliefs, Moores Backsteinreliefs, Baumeisters Sandreliefs zu Yves Kleins Schwammreliefs, Jean Dubuffets Polyesterreliefs, Louise Nevelsons Möbelbruchreliefs - eine originär wie originell neue Stimme hinzu.   © Dr.Roland Held, Darmstadt 2011


 
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